12. Juni 2020 | CEO SpotlightIndustry Insights
In der Vergangenheit fiel die Kälteindustrie vor allem durch eines auf: nichts Besonderes. Wenig Innovation, wenig Technologie und wenig Wandel. Dabei sind Kältemittel seit Jahrzehnten nahezu überall im Einsatz. Die Marktgröße liegt bei knapp 100 Milliarden US-Dollar. Die Tendenz der letzten Jahre: moderat wachsend. Doch angesichts massiver globaler Veränderungen wie der Klimaerwärmung gehen Experten von einer steigenden Nachfrage aus.
Dazu kommt, dass die derzeit dominierende Lösung, basierend auf F-Gasen, veraltet und vor allem unter Umweltaspekten dringend überholungsbedürftig ist. F-Gase sind aufgrund ihrer Beschaffenheit extrem klimaschädlich. Aufgrund mangelhafter Energieeffizienz trägt die Kälteindustrie zudem momentan mit acht Prozent des globalen CO2-Ausstoßes maßgeblich zur Klimaerwärmung bei.
Aus diesem Grund ist die Kältebranche umweltbewussten Unternehmen, Unterstützern von Klimaabkommen und der EU schon lange ein Dorn im Auge. Sie verdient also durchaus ungeteilte Aufmerksamkeit und eine umfassende Weiterentwicklung. Dennoch musste der Wandel gesetzlich verordnet werden.
In Form des globalen Phasedown und der F-Gase-Verordnung werden nun konkrete Anforderungen an die Kälteindustrie gestellt. In der EU sieht die F-Gase-Verordnung eine Phasedown-Periode vor, die bereits 2015 in Kraft getreten ist, seit Januar 2020 diverse Verbote anordnet und bis 2030 eine komplette Transformation der Kältebranche mit sich bringt.
Dieser Blog-Beitrag gibt Ihnen einen Überblick über den sogenannten F-Gase-Phasedown, die schrittweise Beschränkung der verfügbaren Mengen an fluorierten Kohlenwasserstoffen, was sich verändert und verändert hat und wie Sie mit natürlichen Kältemittel von der Situation profitieren und Nachhaltigkeit fördern können.
Ein gesetzliches Verbot klimaschädigender Kältemittel – das gibt es nicht zum ersten Mal. Seit 1987 unterliegen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), HFCKW und Halone, Stoffe, die die Ozonschicht stark schädigen, bereits einem weltweiten Ausstieg aus Produktion und Verwendung. Seit der Erweiterung des Montrealer Protokolls – verabschiedet mit dem Kigali-Beschluss im Oktober 2016 und in Kraft seit Januar 2019 – gehört die Zwischenlösung der teilfluorierten Kohlenwasserstoffe (HFKW) und damit der F-Gase nun ebenfalls bald der Vergangenheit an. Mit dem Kigali-Beschluss wurde der weltweite Phasedown eingeleitet.
In Europa ist die F-Gase-Verordnung (EU-Verordnung Nr. 517/2014 über fluorierte Treibhausgase) bereits seit 1. Januar 2015 in Kraft. Die Verordnung regelt die Verwendung fluorierter Treibhausgase (F-Gase) in der Industrie und setzt somit die Ziele des Kigali-Beschlusses um.
Der Phasedown ist ein Kernelement der EU-Verordnung und sieht die schrittweise Reduzierung teilfluorierter Kohlenwasserstoffen (HFKW) auf ein Fünftel der heutigen Menge vor. Das Ziel: Eine Reduzierung der F-Gase Emissionen bis 2030 um 70 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. In Zahlen heißt das, dass die durch F-Gase verursachten Emissionen in der EU um 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent auf 35 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent bis 2030 sinken müssen!
Die Erweiterung des Montrealer Protokolls erstellte für Industrieländer einen Zeitplan für die Reduktion von HFKW – der vereinbarte Plan der EU ist ambitionierter. Weniger als zehn Jahre Zeit bleiben der europäischen Kältebranche – das ist selbst in extrem dynamischen, von Innovation getriebenen Sektoren knapp bemessen.
Ein kleiner Auszug aus dem EU-Zeitplan zur Reduzierung: Seit dem 1. Januar 2020 gilt ein Verwendungsverbot für das Kältemittel R404A in bestehenden Kälteanlagen. Ab dem 1. Januar 2022 dürfen gewerblich genutzte Kühl- und Gefriergeräte mit dem Kältemittel R134a nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Bis 2025 werden dann bestimmte Erzeugnisse, wie ortsfeste Kälteanlagen oder Mono-Split-Klimageräte, nach und nach vom Markt genommen.
Die Verwendungsverbote für F-Gase und Verbote des Inverkehrbringens von Erzeugnissen, die F-Gase enthalten, stellen eine Reihe von Anwendern vor große Herausforderungen. F-Gase sind zum Beispiel in Kälte- und Klimaanlagen enthalten, allerdings nicht beschränkt auf eine Industrie. Aktuell stehen daher sehr viele Unternehmen vor der Frage, welche Kühlgeräte und Chiller jetzt noch eingesetzt werden dürfen: dazu gehören unter anderem das gesamte produzierende Gewerbe, Betreiber von Rechenzentren und alle Formen der Gebäudekühlung.
Auf dem Markt macht sich die F-Gas-Verordnung schon seit einiger Zeit bemerkbar. Hersteller haben die Produktion von Kältemittel mit einem hohen GWP-Wert zum Großteil eingestellt. Bereits 2017 stiegen die Preise für Kältemittel deutlich. In Deutschland gab es laut Zentralverband des Deutschen Handwerks zeitweise sogar Lieferengpässe. Die steigenden Preise und die Lieferengpässe haben zu massiven, illegalen Importen geführt. Dabei handelt es sich meist um unreine Kältemittel und Kältemittelgemische, die ein Risiko für Mensch und Maschine darstellen.
Eines ist sicher: Die bewährten Stoffe und Prozesse in der Kälteindustrie sind Auslaufmodelle.. Nicht nur die Anwender, auch die Kältetechnologie stellt das vor eine große Herausforderung, denn der chemische Baukasten ist begrenzt. Das Wachstumspotential der Kältebranche bleibt allerdings immens und die Nachfrage ist mehr als stabil.
Hier kommen Low GWP-Kältemittel ins Spiel. Momentan ist viel von sogenannten Low GWP, Kältemittel mit niedrigem GWP (Global Warming Potential), die Rede. Wer Nachhaltigkeit ganzheitlich und langfristig denkt, weiß allerdings, dass auch Low GWP keine echte Lösung sind. Der Begriff Low GWP bezeichnet lediglich Kältemittel, die gegenüber dem bisher verwendeten Mittel einen niedrigeren Wert aufweisen. Bereits in wenigen Jahren werden auch Low GWP-Kältemittel nicht mehr gesetzeskonform sein.
Low GWP schädigen Umwelt und Menschen zudem auf andere Art und Weise. Die Stoffe, und vor allem ihre Abbauprodukte, werden zu neuen bedenklichen Umweltschadstoffen. So können unter anderem Schadstoffe wie die Trifluoressigsäure (TFA) und Flusssäure (HF) entstehen. Diese Substanzen werden in der Umwelt kaum abgebaut und gehen in Boden und Gewässer über. Auch zur Stabilität und Effizienz vieler Low GWP gibt es keine gesicherten Fakten, dies wird etwa am Beispiel R1234yf oder R1234ze deutlich.
So fällt die Rolle des nachhaltigen Innovationstreibers natürlichen Kältemitteln zu. Natürliche Kältemittel an sich sind keine Neuentdeckung. Bereits zur Hochzeit der F-Gase in der Kälteindustrie wurden Kohlenwasserstoffe, Kohlendioxid, Ammoniak und Wasser diskutiert, allerdings schnell wieder verworfen. Die Nutzung von F-Gasen gestaltete sich wesentlich einfacher und Nachhaltigkeitsziele waren bis dato kein großes Thema.
Eine der Hürden war in der Vergangenheit zudem die eher rudimentäre Technologie. Noch heute bremsen auch die vergleichsweise hohen Erstinvestitionen vielerorts den Umstieg – obwohl die Lebenszykluskosten zeigen, dass natürliche Kältemittel langfristig nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch die bessere Wahl sind.
Natürliche Kältemittel sind deshalb die Zukunft, jedoch sind auch sie mit technischen Herausforderungen verbunden und bei der Anwendung sind entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen:
Wasser unterscheidet sich von den anderen natürlichen Kältemittel in einigen entscheidenden Punkten:
Der Phasedown stellt eine lange Liste an Industrien und Unternehmen vor nie dagewesene Herausforderungen. Dennoch ist der Phasedown eine positive Entwicklung und eine gigantische Chance für die Kälteindustrie. Indem Innovation nun nicht mehr gefördert, sondern aktiv gefordert wird, kommt Bewegung in einen über lange Zeit eingeschlafenen, aber milliardenschweren Sektor.
Gerade das ehrgeizige Vorhaben der EU ist ein Gewinn für die Zukunft der Branche. Mit dem Reduktionsplan setzt die EU Maßstäbe, die von globaler Relevanz sind. Nur sie können Europa zum Pionier im Bereich umweltfreundlicher Kühlung machen und Unternehmen den Anreiz geben, Kompetenzen in einem stark wachsenden Industriebereich auszubauen und die Marktführung zu übernehmen. So wird auf lange Sicht ein deutlicher Vorsprung und damit für die europäische Kälteindustrie ein profitabler Geschäftsvorteil entstehen. Schon bald könnte dieser als Ansporn für die globale Kälteindustrie dienen.